Liebe Kunstfreunde

    An alle, die mich nicht kennen, möchte ich ein paar Worte über meine Gedanken zur Kunst richten.
In meinen Ausstellungsthemen steht das zwischenmenschliche Geheimnis im Vordergrund. Es fasziniert mich seit vielen Jahren und ich versuche ihm durch meine Malerei näher zukommen.
    Meine erste Ausstellung begann im April 97 mit „Masken und Gesichter“ ( „Pro Seniore“, Ulm), aus denen dann im März 98 „Bewegte Gesichter“ (Atrium Hotel, Ulm) wurden, die sich im April 99 in der „Begegnung“ ( „Römer Villa“, Ulm) trafen und im Mai 01 zu „berühren“ (Maritim Hotel, Ulm) verlangten.
Zwischendurch hingen meine Bilder in den verschiedensten Häusern Ulms.
   
    In meinen zu Anfang gemalten Gesichtern spiegeln sich Stimmungen, Träume, Sehnsüchte, Gedanken und Gefühle. Sie sind oft nicht eindeutig, können sehr widersprüchlich sein und entweder eine freie selbstbestimmte Kommunikationsform zeigen, oder eine unfreiwillige, voneinander abhängige.
    Ich bezeichne diesen Widerspruch zum Beispiel auch als Harmonie- Disharmonie, Macht- Ohnmacht, Selbstbestimmung- Fremdbestimmung.
    Ich versuche die Ursachen und Zusammenhänge zu verstehen, um solche Widersprüche überwinden zu können.
    Dazu ist „Bewegung“ notwendig. Sie beinhaltet nicht nur das „sich Auf den Weg machen“, sondern auch das „sich Lösen“ von starren Normen und Gewohnheiten.
    Oft ist dieses „ sich Fortbewegen“ nicht frei gewählt, sondern geschieht leider nicht selten unter hartem Zwang und größter Not. Vertrieben wegen politischem Terror, Krieg, Hungersnot und anderem Unrecht.
Gesetze, Regeln, Tabus können den Menschen schützen, ihn aber auch an einer selbstbestimmten freien Entfaltung über seine Lebensgestaltung und Einstellung zu anderen Menschen hindern. Ich glaube, nur ein selbstbestimmter Mensch kann ehrlich betroffen werden, sich einfühlen und miterleben. Es geschieht in ihm ein „Mitbewegen“ zur Freude oder auch zum Leid des Anderen und kann sich dann zum echten Mitgefühl und tiefem Verständnis entwickeln.
    Erst dann ist es ihm möglich über eventuelle gesellschaftspolitische Veränderungen nachzudenken.
    Doch dazu bedarf es allerdings der „Begegnung“ mit anderen Menschen. Begegnungen können konstruktiv, glücklich, entspannt und hoffnungsvoll sein, aber auch problematisch, ungewollt oder angstauslösend. Wir erleben sie jeden Tag aufs Neue. Ohne sie wäre unser Leben unmöglich denkbar. Für einen einsamen isolierten Menschen, der nur noch sehr wenige Begegnungen erleben darf, ist das Leben oft nur unter großem Leiden zu ertragen. Ich erfahre das sehr oft und intensiv in meinem Berufsalltag. Dieses bewusste Miterleben und Miterleiden macht mich sensibel für dieses Thema.
    Außer diesen Begegnungen zwischen Menschen, den zwischenmenschlichen Begegnungen, gibt es auch noch andere. Ich denke da an Begegnungen mit seinen eigenen Gefühlen und Gedanken, mit anderen Worten, den Begegnung mit sich selbst.

    Mein besonderer Blick gilt auch den Begegnungen, die unter politischem Druck und seinen Auswirkungen entstehen. Mein Mitgefühl gilt diesen benachteiligten Menschen.
    Begegnung bedeutet für mich mehr als bloße Betrachtung und Zufälligkeit, sondern birgt die große Chance zur geistigen Veränderung, einer neuen Freundschaft, einer tiefen zwischenmenschlichen Beziehung oder einer Reise ins Unbekannte. Begegnung kann auch die Chance zur Weiterentwicklung und Vervollkommnung sein.
    Dies geschieht am ehesten, wenn ich durch eine Begegnung berührt werde.
    Das kann ein körperliches oder seelisches Berührtwerden sein. Beides hängt eng miteinander zusammen oder bedingt sich gegenseitig.
    „Berühren“ kann für mich als etwas wunderbar Wohltuendes empfunden werden, genauso aber auch das Gegenteil hervorrufen. Oft erleben wir widersprüchliche Empfindungen zur gleichen Zeit und mit der gleichen Person.
Das erzeugt Spannung und deshalb Energie!
    Ich frage: was wäre ein Leben ohne Berührung?
    Es wäre kein Leben! Ja, ich behaupte: nur wer Berührung empfinden kann, lebt!
    Diese Berührung fängt als Embryo an, und hört als Sterbender auf.
    Für mich ist Berühren und gewolltes Berührtwerden immer ein Zeichen von Kraft und Stärke!
    Auch ich werde von den verschiedensten Menschen und Ereignissen berührt. Mal von der Schönheit, Anmut und Würde eines Menschen, mal von quälendem Leiden, Krankheit und dem Tod.
    Und immer wieder auch von sozialer Ungerechtigkeit. Egal, ob es sich um sozial-, entwicklungs-, wirtschafts- oder gesundheitspolitische Probleme handelt, ich werde auf meine eigene Art davon berührt und betroffen.
    In meiner Arbeit, - ich bin Sozialwirtin und Altenpflegerin und arbeite in einer geriatrischen Klinik in Ulm-, aber auch in meiner Freizeit, setze ich mich auf verschiedenste Weise damit aktiv auseinander.
    Ich male und webe seit 20 Jahren. Meine Bilder sind mit Pastellfarben gemalt. Die Wandteppiche webe ich mit der Hand mit eigen gesponnener und pflanzengefärbter Wolle.

Und nun wünsche ich Euch viel Spaß beim Anschauen und bedanke mich für Euer Interesse! Laßt Euch von mir berühren!

Barbara Zell, Ulm, Germany 2003       (Siehe auch die 'begleiten' Seite und die 'Lebenskreis' Seite).

2011:
    Die lange intensive Auseinandersetzung mit dem Thema „berühren“ hat mich zu der Frage gebracht: Was geschieht mit einem schwerkranken Menschen, wenn dieses bewusste Berühren nicht mehr möglich ist? Was denkt, fühlt oder empfindet ein todkranker Mensch wenn er im Sterben liegt?
    Ich sehe in meinem Berufsalltag viele hochbetagte Menschen, die nur noch ein paar wenige Monate oder Wochen zu leben haben, aber auch die, welche akut im Sterben liegen. Meine Aufgabe ist es, diese Patienten und seine Angehörigen einfühlsam und professionell zu begleiten. Ich erlebe dabei sehr viel Gutes und Herzliches, aber auch oft eine unausgesprochene große Angst. Viele Angehörige sind mit diesen Patienten heillos überfordert. Sie können den bevorstehenden Tod nicht akzeptieren, weigern sich das nahende Ende zu sehen und verzweifeln an ihren eigenen Wünschen, die nicht in Erfüllung gehen können. Zum Begleiten gehört deshalb nicht nur das Pflegen wie es im Lehrbuch steht, sondern vor allem das Verstehen der Mitbetroffenen, das Zuhören, das Gespräch, das Verständnis, der Trost, und das bewusste Miterleben und Mitempfinden.
    Manchmal begleite ich einen Menschen genau bis zu seinem Tod. Ich gehe in seinen letzten Tagen eine ganz besondere Beziehung mit ihm ein. Manchmal redet er mit mir, erzählt mir Geschichten, Träume, Wünsche, manchmal aber schaut er mich nur sehr intensiv an und beobachtet meine pflegerischen Handlungen. Ich spüre was ihm gefällt, was ihm besonders gut tut und was er kaum ertragen kann. Durch meine gezielten Berührungen erfahre ich seine Wünsche. Ich weiß wenn er eine Schmerzspritze braucht, wenn er Durst hat, wenn er alleine sein möchte oder wenn er entspannende Musik hören will. Am Ende seines Lebens angekommen, schließe ich seine Augen sitze mich noch ein Weilchen zu ihm ans Bett und bin ihm dankbar für sein Vertrauen in mich. Ich informiere den Arzt, tröste seine Angehörigen und freue mich diesen Beruf ausüben zu dürfen.
    Ich glaube ein echtes sensibles „Sich einlassen“ auf den todkranken Menschen in einer Klinik ist nur möglich mit einem starken multiprofessionellen Team im Hintergrund. Die Gewissheit der gegenseitigen Unterstützung, die vertrauensvolle Beziehung, die offene Auseinandersetzung, die helfende kollegiale Hand und das Verständnis untereinander ist meiner Meinung nach Grundvoraussetzung eines guten Beziehungsaufbaues zu dem Patienten und somit eines positiven Begleitens. Auch ist ein gutes professionelles Begleiten nur dann sinnvoll und möglich, wenn es ein gemeinsames Ziel gibt in der Behandlung und Pflege. Der Patient und sein Wille ist der Ausgangspunkt. Die palliative Komplexbehandlung in unserer Klinik, von allen Mitarbeitern mitgetragen, ist ein Segen im medizinischen Fortschritt und wesentlich wichtiger in Zukunft als so manche neu entdeckte Operationsmethode an irgendeinem Gelenk.
    Zum Schluss möchte ich noch betonen, dass nicht nur ich aktiv begleite, sondern genauso auch von meinen Patienten und Bewohnern seit so vielen Jahren liebevoll und treu begleitet werde. Es ist nicht nur ein Geben und Helfen meinerseits; ich werde für mein Engagement und die Liebe zu den alten Leutchen dafür reichlich beschenkt. Alte, kranke und verwirrte Menschen spüren sehr schnell, ob sie von uns so wie sie sind akzeptiert und geachtet werden. Auf echte Wertschätzung und einen respektvollen Umgang reagieren viele von ihnen mit offenem Vertrauen und großer Dankbarkeit.

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