Liebe Kunstfreunde,
Meine neue Ausstellung im Jahr 2011 heißt Lebenskreis.
Im Mittelpunkt meiner Bilder steht wie immer der Mensch. Ich stelle ihn auf 4 elementaren Lebenswegen dar, die nacheinander betrachtet, einen Kreis bilden, den sogenannten Lebenskreis.
Wie Sie beim Betrachten der Bilder sehen werden, stelle ich nach wie vor die Menschen nur mit ein paar Linien und Farben dar. Ich male sie so wie ich sie fühle. Deshalb stelle ich auch die Menschen im 3. Teil splitternackt dar. Es sind die Menschen, die ich jeden Tag bei meiner Arbeit begleite - sehr alt und schwer krank, oft auch sterbend. Ich sehe ihren letzten oft verzweifelten Kampf, das Sich Aufbäumen gegen den Tod, aber auch das Sich Aussöhnen und Loslassen.
Ich bin hauptberuflich mit der Pflege alter und kranker Menschen beschäftigt. Ein Beruf der mich auch nach vielen Berufsjahren immer noch sehr ausfüllt und glücklich macht, aber auch stark beansprucht. Meine Ausbildungen zur Sozialfachwirtin und Fachkraft für Gerontopsychiatrie helfen mir meinen Beruf noch professioneller und kompetenter auszuüben.
Lassen Sie mich als Beispiel einen Lebenskreis grob aufzeigen wie er in unserer Gesellschaft häufig vorkommt :
Er beginnt mit der Geburt, also der Ankunft eines Menschen.
Dieser entwickelt sich dann Jahr für Jahr weiter, wird vom Baby zum Kleinkind, macht als Jugendlicher und junger Erwachsener unzählige Erfahrungen und versucht nach und nach deren Sinn zu erfassen.
Es entstehen unzählige unterschiedliche Beziehungen, Freundschaften können wachsen und reifen, und - mit viel Glück - das mächtige Gefühl der Liebe.
Bei vielen Menschen steht jetzt die Familie oder Partnerschaft in Mittelpunkt des Lebens. Die Berufsfindung ist meist abgeschlossen.
Die Arbeitsstelle wird nun zu einem weiteren wichtigen Aufenthaltsort.
Die Jahre vergehen, er merkt, daß er älter wird und er sucht seine Bestimmung durch Familie, Freundschaften, Arbeit und Freizeit.
Er versucht, so gut er es vermag, sich selbst zu verwirklichen, denn er spürt immer deutlicher seine Vergänglichkeit. Das geht oftmals nicht ohne spürbare Korrekturen, Verletzungen und Wunden, die später nachhaltige Narben hinterlassen können.
Langsam aber stetig wird er ruhiger und müder, sein Körper sendet ihm täglich deutliche Signale des Alterns. Er verabschiedet sich unmerklich Jahr für Jahr von seinem Leben, genießt, soweit er in der Lage ist, die Ruhe und Gelassenheit, die er in sich trägt, und widmet sich nun ganz den letzten Monaten und Tagen seines langen Lebens, um am Ende, nicht immer kampflos und gelöst, zu sterben.

So könnte ein Leben ausgesehen haben, aber auch ein völlig anderes wäre vorstellbar. Ganz gleich, was der Einzelne erlebt, was sein persönliches Leben ausmacht, wo er und wie er lebt, er wird geboren und früher oder später wird er wieder sterben. Diesen Kreis des Lebens wird es immer geben, jedoch wird er bei jedem Menschen anders gefüllt sein, mit seinen eigenen Erfahrungen, Eindrücken, Erlebnissen, und Gefühlen. Kein Leben ist mit dem eines anderen zu vergleichen.
Jeder Mensch und somit jeder Lebenskreis ist einzigartig.
Dieser Lebenskreis, wie ich ihn nenne, wird bei manchen extrem schnell geschlossen werden, kaum wurde diesen Menschen das Leben geschenkt, wird es ihnen auch schon wieder genommen, sei es durch Krankheit oder andere schreckliche Ereignisse. Bei anderen dafür ist dieser Kreis umso größer und weiter. Er wird ganz langsam, manchmal äußerst behutsam, manchmal aber auch qualvoll geschlossen. Alte Menschen, bei denen sich dieser Lebenskreis nur allmählich und zögerlich schließen mag, begegnen mir tagtäglich bei meiner Arbeit in der Klinik und im Pflegeheim. Nicht selten betreue ich jetzt schon Menschen, die über ein Jahrhundert alt sind. Da liegt es auf der Hand, daß ich mir gerade um den 3. Weg - den Weg des Verabschiedens und des näher kommenden Todes - am meisten Gedanken mache.
Den Teil 1 meines Schaffens, den Beginn eines Lebens, also die Geburt eines Kindes, seine Ankunft in das Leben, dürfte ich als Mutter persönlich gleich drei Mal erleben. Ich behaupte, es waren unbestritten mit meine allerschönsten Glücksmomente in meinem Leben. Ich genoss und geniese immer noch meine Rolle als Mutter und schon viele Jahre auch als Oma und bin sehr stolz auf meine 3 Kinder und 2 Enkelkinder.
Im 2. Teil male ich Menschen, die etwas Wunderbares verbindet, eine große Liebe, eine innige Freundschaft oder eine andere glückliche Beziehung. Es geht um die ganz großen Gefühle und Werte, die das Leben erst so richtig lebenswert machen, ich nenne diesen Lebensabschnitt Erfüllung. Auch in dieser Phase hatte und habe ich ein sehr reichhaltiges und erfülltes Leben.
Jetzt befinde ich mich in der Phase des Älterwerdens und sehe mich bereits auf einem guten Weg des 3. Teils meiner Ausstellung, des Abschiedes.
Das Verbindende aller 3 Teile oder aller 3 Wege ist für mich die Freude am Leben.
Ob der Mensch es noch vor sich hat, mitten darin steckt oder es fast hinter sich hat, ist für mich unbedeutend. In jeder dieser Phasen des Lebens sehe ich immer auch das Schöne und Positive, die Freude und das Glück. Nicht nur Kinder und junge Erwachsene haben in meinen Augen etwas Einmaliges und Anmutiges, sondern auch die alten und uralten Menschen strahlen für mich oft eine wunderbare Schönheit und Ausgewogenheit aus. Mein Blick gilt nicht der Oberfläche, ich schaue in diese alten Gesichter und Körper hinein und lasse mir ihre Geschichten erzählen. Dort erfahre ich freilich oft viel über Leid und Schmerz, aber auch nach längerem Zuhören nicht selten etwas über Glück, Harmonie, Liebe und Dankbarkeit. Ich habe ehrlichen Respekt und Achtung vor diesen erfahrenen hochbetagten Menschen und versuche ihnen so gut es geht zu helfen ihren Lebenskreis in Würde schließen zu können.
Ich habe gelernt, daß die letzten Wochen, Tage und Stunden genauso wichtig für einen Menschen sind wie die allerersten nach der Geburt.
Eine Geburt wird mit Recht in unserer Gesellschaft als ein großes fröhliches Fest gefeiert. Den Eltern wird gratuliert und sie werden reichlich beschenkt, alle wünschen nur das Beste. Aber liegt ein kranker alter Mensch im Sterben, bekommen es die meisten Angehörigen mit der Angst zu tun. Sie verstecken sich, schauen weg und sind froh daß es uns Alten- und Krankenpfleger(innen) gibt, die ihren Eltern oder Großeltern in diesen Stunden treu zur Seite stehen.
Dabei vergessen sie den Lebenskreis, der jeden von uns begleitet und ohne den kein Leben möglich wäre. Unser Leben ist nicht auf die Ewigkeit ausgerichtet und darüber bin ich froh. Ich weiß wie wichtig und gut ein würdevolles Sterben ist und gebe dafür meine ganze Kraft und Professionalität.
Für mich ist der Beruf der Hebamme genauso schön und wichtig wie der Beruf der Altenpflege. Nur wer geboren wird, kann auch sterben, oder anders herum ausgedrückt, nur wer sterben darf, wurde auch mal geboren. Die Situation, daß eine Mutter ihr Kind versteckt und verzweifelt in der Einsamkeit auf die Welt bekommen muß, ist genauso ein Armutszeugnis unserer Gesellschaft, wie die, daß ein alter Mensch ohne jede Begleitung, alleine und unbeachtet von seinen Mitmenschen, seine letzten Atemzüge tut. Eine Gesellschaft sollte sich auch daran messen, wie sie mit ihren alten und kranken Menschen umgeht, denn auch für sie gilt der 1. Artikel unseres Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt“ Für mich ist es wichtig, Menschen beim Sterben eine liebevolle Begleiterin zu sein. Ihnen auf ihrem Weg zum Tode auch professionell helfen zu können, ist mir ein großes Anliegen. Ich arbeite deshalb seit vielen Jahren in der Bethesda Klinik Ulm und kann da diesem Ziel näher kommen.
Dort steht dem sterbenden Menschen nicht nur eine speziell ausgebildete Altenpflegerin oder Krankenschwester, sondern auch ein multiprofessionelles Team gegenüber, das alles tut, um ihm ein humanes Sterben zu ermöglichen. Eine palliative Therapie und Pflege wird seit Jahren von allen Berufsgruppen gemeinsam angestrebt und durchgeführt. Nicht alle alte Menschen haben das Glück friedlich und im Kreise ihrer Lieben daheim im eigenen Bett sterben zu können. Sie werden vom Hausarzt ins Krankenhaus überwiesen, weil sie auf fremde Hilfe angewiesen sind und weil ihre Angehörigen damit nicht selten heillos überfordert sind. Da ist es gut, wenn es eine geriatrische Klinik gibt, die diese kranken Menschen aufnimmt, und ihnen auf ihrem letzten Weg, so gut sie es vermag, stützt und hilft. Doch trotz allen Bemühens seitens der Mitarbeiter dieser Klinik, gelingt es ihr leider nicht in jedem Fall ihre humanen Ziele und Wünsche in die Tat umzusetzen.
Ich sehe meine Arbeit sehr wohl auch kritisch und kenne meine eigenen Schwächen und Grenzen, aber auch die einer Institution wie das Krankenhaus. Oft reicht eine liebevolle Fürsorge und aufopfernde Hilfsbereitschaft nicht aus. Auch das Bereitstellen unseres professionellen Wissens und Könnens genügen manchmal nicht, dem Patienten ein Sterben in Würde und ohne Leiden zu ermöglichen. Ärzte und Pflegekräfte stehen diesem Dilemma manchmal machtlos gegenüber und leiden nicht selten darunter.
Ich arbeite nebenher noch im Pflegeheim Clarissenhof in Ulm und erkenne die Vorteile, wenn die Menschen, die schon viele Jahre dort wohnen, zum Sterben nicht in die Klinik geschickt werden vom Hausarzt, sondern in aller Ruhe und Würde in ihrer vertrauten Umgebung bis zu ihrem Tode bleiben dürfen, denn es ist ihr Zuhause geworden. Das Pflegepersonal kennt diese Menschen, seine Angehörigen und den zuständigen Hausarzt seit vielen Jahren sehr gut und ist bestens in der Lage ihnen ein humanes, respektvolles Sterben zu ermöglichen. Es gibt allen Beteiligten ein gutes und friedliches Gefühl, wenn diese hochbetagten Menschen, die ihnen sehr ans Herz gewachsen sind, ihren Lebenskreis in ihrem jetzigen Zuhause schließen dürfen. Denn sie waren in ihren letzten Jahren und Monaten ihre wichtigsten begleitenden Menschen geworden, und manchmal auch ihre einzigen verbleibenden Freunde.
Um meine erlebten Gefühlen besser verarbeiten zu können, bediene ich mich nach wie vor der Kunst. In einem Gedicht, Bild oder Objekt kann ich meine Empfindungen freien Lauf lassen, um so das Erlebte besser verstehen oder kritisch beleuchten zu können.
Womit wir auch schon beim 4. Teil meiner Ausstellung wären: der Erinnerung!
Es genügt mir nicht immer, das kurze Erwähnen eines Verstorbenen während meiner Abwesenheit bei der routinemäßigen Patientenübergabe, oder, so ich direkt beim Sterben dabei sein konnte, die schnelle Versorgung und Unterbringung in den Kühlraum. Ich möchte diesem, mir liebgewonnenen Menschen eine Art Denkmal setzen. Ich möchte mich an ihn erinnern und setze mir auf verschiedene Art und Weise ein Zeichen, sei es in Form eines Bildes, eines Fotos, einer Tagebucheintragung oder eines Gedichtes. Ich weiß, daß dieser Mensch in meiner Erinnerung weiterlebt. Er ist seines alten kranken Körpers entledigt und kann jetzt ohne Schmerz und Pein als anderes Medium, ob Seele benannt oder wie auch immer, im Universum seinen Platz suchen. Für mich ist der Tod eines kranken alten Menschen eine Erlösung und deshalb nichts Grausames oder Beängstigendes. Ich freue mich mit ihm diesen letzten schweren Gang gehen zu dürfen und bin ihm dafür dankbar. Er lebt in meinem Herzen und meiner Erinnerung weiter als etwas Vertrautes und Gutes.
Zum Schluß ein herzliches Dankeschön an alle, die mir geholfen haben, diese Ausstellung zu bewerkstelligen, vor allem meiner Tochter Rosa, die mich immer tatkräftig unterstützte. Mein besonderer Dank gilt auch Herr Pfarrer Frey, der es mir erneut ermöglicht hat, die großen, schönen Räume der Diakonie im Grünen Hof in Ulm für meine Bilder nützen zu können, und natürlich meinem Manager Gordon Nudd und Bruder Uli von Neubeck, ohne die es diese Homepage nicht geben würde.
Und nun Ihnen allen herzlichen Dank für Ihr Interesse und viel Spaß beim Anschauen,
Ihre Barbara Zell