Angesichts meiner Geschichte ist es nicht schwer nachvollziehbar was mich zu diesem Thema veranlasst hat. Sehen wir es als eine chronologische Fortsetzung meiner Gedankengänge. Ich verstehe das berühren nicht nur als eine Vervollkommnung einer Beziehung, sondern auch in diesem Zusammenhang das seelische Berührsein. Die lange intensive Auseinandersetzung mit diesem Thema hat mich zu der Frage gebracht: Was passiert, wenn dieses Berühren erschwert wird oder kaum mehr möglich ist? Was passiert, wenn ein Mensch so krank wird, daß er unfähig wird zur Berührung? Was geht in einem alten, kranken Menschen vor, der sterben muß? In meinem beruflichen Alltag erlebe ich tagtäglich das Spannungsfeld zwischen dem sterbenskranken Menschen und dem vieler Berufsgruppen und Angehöriger, die alle nur „Gutes“ mit ihm vorhaben. Was empfindet ein hochbetagter kranker Mensch, wenn er auf fremde Hilfe angewiesen ist, und wie geht es der Person, die ihm hilfreich zur Seite stehen will, die ihn begleiten will? Ich weiß, daß ich diese spannende Frage nicht nur rational erfassen kann, sondern dazu Gefühle gehören. Jede andere Vorgehensweise wäre mir zu oberflächlich oder zu wissenschaftlich gedacht. Da ich jedem Patienten oder Bewohner größtmögliches Verständnis entgegenbringen möchte, ist es nötig mit ihm eine Beziehung einzugehen. Um diesem lohnenden Prozess voll begegnen zu können, nehmen nicht nur mein Fachwissen, sondern auch meine Gefühle einen großen Raum ein. Entgegen mancher Lehrmeinung aus der Fachliteratur vertrete ich die These, daß gerade die Gefühle die wichtigste Basis für einen liebevollen Umgang mit alten kranken Menschen sein muß. Das bedeutet nicht auf meine Professionalität zu verzichten. Im Gegenteil, ich glaube, nur wer in diesem Beruf Gefühle zulassen kann, hat die Chance mehr daraus zu machen, als einen Dienst nach Vorschrift. Denn begleiten bedeutet mehr als ein „zur Seite stehen“, ein Unterstützen in den Handlungen des alltäglichen Lebens, ein Übernehmen der lebensnotwendigen Fertigkeiten. Zum Begleiten gehört auch das Gespräch, das Verstehen, das Verständnis, der Trost, das Miterleben, das Mitempfinden.
Ich verstehe mich als eine Begleiterin eines kranken Menschen seines kleinen Stückes Lebensweges, der leider meistens ein Leidensweg ist. Oft sind es die letzten Kilometer.
Dabei steht für mich immer die Würde und Achtung dieser Person im Vordergrund. Ich bin dankbar dafür, ihn in dieser oft sehr kritischen schweren Zeit begleiten und sein Vertrauen gewinnen zu dürfen.
Meine ganz besondere Liebe gehört den alten verwirrten Menschen, die an einer Demenzerkrankung leiden. Gerade diese Menschen sind es, die mich zutiefst in meiner Seele berühren. Ich bin glücklich, sie durch meinen Beruf ein Stück ihres Weges begleiten zu dürfen. Auf echte Wertschätzung und würdevolle Achtung ihrer Person reagieren viele von ihnen mit offenem Vertrauen und großer Dankbarkeit. Es ist meistens ein harmonischer, liebevoller Umgang miteinander, den ich und viele meiner Kolleginnen nicht missen möchte. In welchem Beruf findet eine solche einfühlende, vertrauliche und intime Kommunikation statt? Genau das ist auch der Grund, warum ich trotz bester Qualifikation die Karriereleiter nicht besteigen wollte. Ich möchte den unmittelbaren Kontakt zu diesen Menschen nicht verlieren. Mein Herz gehört ihnen.